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Reiner Riedler

Konzept: End of the Night

„Die Nacht war einmal Opposition. Wir benahmen uns unvernünftig, unsittlich, ungesund und unbedacht. Wir häuteten uns von der Alltagsidentität und durften sein, wer wir sein konnten. Wir vergaßen die Wirren der Woche und bekamen aus guten Gründen Nasenbluten. Wir schrieben geheimen Geliebten Nachrichten und erzählten, was wir die Tage dachten.“ Lukas Matzinger

Prall gefüllte Musik-Clubs, dicht aneinander gepresst verschwitzte Menschen, ein im Stroboskoplicht wogendes Konglomerat tanzender Gestalten - Erinnerungsbilder von Musikkultur, die mich sehnsüchtig zurückblicken ließen an Orte, die einmal so etwas wie mein Zuhause waren - diese Bilder waren Ausgangspunkt für eine Reise in die Welt der Musik – Clubs im Stillstand.
Während des ersten Lockdowns im April 2020 begann ich Wiener Musik-Clubs zu kontaktieren und unter schwierigen Bedingungen zu fotografieren. Viele Clubs umgab zu der Zeit bereits ein Hauch von Vergänglichkeit. Partyreste, leere Flaschen und Gläser standen noch auf den Tischen, in den Garderoben zurückgelassene Kleidungsstücke der letzten Besucher, zur Reparatur zerlegte Scheinwerfer und vorübergehend funktionslos gewordene Musikanlagen, leere Bühnen. Als ob ein unsichtbarer Schleier über diese Räume gelegt wurde, erschienen sie nackt und bestimmungslos. Sogar der kalte Geruch von Alkohol und Zigarettenrauch war bereits nach kurzer Zeit verschwunden. Im Winter waren die meisten Lokale ungeheizt. Manche Clubs befanden sich in einem Zustand der Transformation, frisch ausgemalt und bereit für die Wiederöffnung. Hier war eine positive Aufbruchsstimmung zu spüren.

Mit der Zeit wuchs eine Bildersammlung heran, die immer mehr den erschöpften Zustand der Szene offenbarte. Parallel zu den Aufnahmen in den Clubs nahm ich wahr, wie vor allem sehr junge Menschen öffentliche Plätze in Wien eroberten und sich Partys nach draußen verlagerten - während die Lokale nachts geschlossen blieben. Die Jugend hatte ihren Weg gefunden und sich in ihrer Lebenslust organisch an die Situation angepasst. Ein Jahr und mehr ohne Musikkultur an Orten, die vielen Menschen ein Zuhause oder zumindest ein Ersatz von Zuhause waren. Ich machte ausgedehnte nächtliche Spaziergänge in die Nähe der Lokale, aber auch an die Peripherie der Stadt. Der Einsatz von Blitzlicht analog zur zersetzenden und zerstörerischen Kraft des Virus ist Teil des Konzepts.

„Ich gehe wortlos hinaus in die Gänge, sie sind unbemannt und unbeheizt, keiner posiert mehr. Ich stehe auf einer besenreinen, tonlosen Tanzfläche. Die Bühne ist verödet, keine Tanzwut, keine Sicherheitsmänner, keine Watte. Die Bar ist leergeräumt, die Getränkeflaschen sind abverkauft. Die Barfrau sitzt zuhause, der DJ hat umgeschult. Der Club ist stumm wie ein Foto. Die Nächte sind nur noch erinnerte Materie.“ Lukas Matzinger