Rebecca Sampson
Konzept: Apples for Sale
Indonesische Hausangestellte leben in Hongkong in einer rein weiblichen, im Alltag nahezu unsichtbaren Parallelgesellschaft. Familien, Kinder, Ehemänner müssen sie in Indonesien zurücklassen, wenn sie mit dem Traum vom großen Geld Richtung Hongkong aufbrechen. Dort angekommen leben sie mit ihren Arbeitgebern jahrelang auf engstem Raum, haben oft keine eigene Schlafecke und keinerlei Privatsphäre. Die Hausmädchen sind eingepfercht in einen zermürbenden Alltag mit schlechten Arbeitsbedingungen, geringer Bezahlung und wenig Freizeit. Ausbeutung, Diskriminierung, Geringschätzung und Schutzlosigkeit sind für sie an der Tagesordnung. Befeuert wird diese Dynamik durch das zweifelhafte Geschäftsgebaren von privaten Vermittlungsagenturen, die im Durchschnitt ein Drittel des Jahreseinkommens der Hausmädchen als Gebühr einfordern.
Zudem sind die Frauen häufig der Willkür ihrer Arbeitgeber ausgeliefert, die ihnen jederzeit mit einmonatiger Frist kündigen können – woraufhin ihnen dann gerade einmal zwei Wochen bleiben, um eine neue Anstellung zu finden, bevor sie aus Hongkong ausgewiesen werden.
Während die Hausmädchen unter solch prekären Verhältnissen ihrer täglichen Arbeit nachgehen, steht ihnen laut Gesetz zumindest ein freier Tag pro Woche zu. Dies ist in der Regel der Sonntag, der sich als Familientag der Arbeitgeber etabliert hat und an dem es von den Hausangestellten erwartet wird, dass sie die Wohnung verlassen. Dergestalt heimatlos strömen jeden Sonntag Tausende dieser Frauen in den öffentlichen Raum: Parks und Plätze werden erobert, Fußgängerbrücken, Tunnel und Verkehrsinseln besetzt. Aus Pappkartons entstehen Hauswände, und Plastikfolien dienen als Picknickdecken. An diesem einen Tag in der Woche müssen alle emotionalen Bedürfnisse befriedigt werden. Einsam, weit weg von ihren Familien und isoliert von der Hongkonger Gesellschaft, suchen die Frauen nach Vertrautheit, Geborgenheit und Nähe. So kreieren sich die Hausangestellten jeden Sonntag in Hongkong einen winzigen Zipfel indonesischer Heimat: Sie inszenieren alles, was für sie ein Leben in Indonesien ausmacht, mit indonesischem Essen, begleitet von indonesischer Musik. Was jedoch fehlt, sind die Männer und die Kinder. In einem ausschließlich weiblichen sozialen Umfeld beginnen sie eine Art von Rollenspiel. Die männlichen Rollen werden von Tomboys übernommen – Frauen, die sich maskulin kleiden und geben. Liebevoll zurechtgemachte Puppen ersetzen die fehlenden Kinder. Dieses Rollenspiel ist einerseits die Aufrechterhaltung vertrauter gesellschaftlicher Verhältnisse, andererseits ist es nicht mit dem strengen Reglement einer muslimisch konservativ geprägten Gesellschaft vereinbar. Dadurch entsteht fernab von kontrollierenden Blicken ein Freiraum, der die Frauen dennoch in einen Konflikt bringt. In Hongkong haben sie die Möglichkeit, sich auszuprobieren, andere Seiten ihrer Sexualität zu entdecken und Grenzen auszuloten. Jedoch gelingt es ihnen nur bedingt, ihr tief verwurzeltes Wertesystem abzulegen – so wirken die Grenzgängerinnen häufig innerlich zerrissen und geplagt von schlechtem Gewissen, gefangen zwischen den verschiedenen Welten.
Laut Umfragen haben zwischen 20 % und 40 % der Hausangestellten in Hongkong Erfahrungen mit lesbischen Beziehungen. Dies ist ein deutlich höherer Anteil lesbischer Beziehungen als allgemein üblich. Die Community lesbischer indonesischer Hausangestellter unterscheidet sich stark von anderen lesbischen Communitys. Die meist selbstgewählten und stark überspitzten Geschlechterrollen werden regelmäßig gewechselt, die sexuelle Orientierung ist flexibel, die Grenzen sind fließend und werden ständig neu verhandelt. Viele der nach außen gelebten lesbischen Beziehungen ähneln hinter der Fassade eher Freundschaften im Partnerlook. Wer also wirklich lesbisch ist, wer sich bewusst dazu entschieden hat, lesbisch zu sein, und wer eher einem sozialen Trend folgt und sich als lesbisch inszeniert, ist oftmals unklar. Welche Paare tatsächlich ein Hotelzimmer mieten, um Sex zu haben, und wer eigentlich nur kuschelnd in der Karaokebar abhängt, ist wieder eine andere Sache. Werden die Frauen gefragt, sind die Fake-Lesben – eine gängige Bezeichnung vor Ort – auf jeden Fall immer die anderen.
Das strenge Korsett ihrer Lebenssituation als Arbeitsmigrantinnen verwehrt den Frauen eine selbstbestimmte Gestaltung ihres Lebens. Die Hausangestellten sind, wie andere junge Frauen auch, auf der Suche nach Bestätigung, Sinn und Individualität. Da sie sich nur an einem Tag in der Woche frei bewegen dürfen, verschiebt sich der soziale und kulturelle Raum, den sich die Frauen im Park geschaffen haben, immer mehr von der realen Welt in eine virtuelle auf Facebook. Hier wird der individuellen Auslebung der eigenen Persönlichkeit keine Grenzen gesetzt.
Werdegang
- Freie Fotografin
Auszeichnungen
- Gewinnerin von gute Aussichten-junge deutsche Fotografie
- Nominierung Joop Swart Masterclass
- Grenzgänger Stipendium der Robert Bosch Stiftung und des Literarischen Colloquium Berlin
- Nominierung für den Kassel Dummy Award
- Stipendium des Foam Museum Amsterdam