Herr Bitzer, welchen Auftrag erfüllt Fotografie?Fotografie hat nicht den einen Auftrag. Sie hat viele Aufträge, die dieselben wie insgesamt in Kunst und Kultur sind. Sie soll informieren, dokumentieren, erinnern, aber auch unterhalten. Im besten Fall setzt sie sich mit der Welt und den Realitäten auseinander.
Wie hat sich Fotografie in den letzten Jahrzehnten verändert? Ist sie mehr Massenprodukt als früher?
Nein, Fotografie war immer ein Massenprodukt und sie hat sich gar nicht so stark verändert. Die Kommunikation insgesamt ist ganz anders geworden. Wir sind immer bildlastiger geworden in allen Kommunikationskanälen. Ohne Bild ist Kommunikation heute nicht mehr vorstellbar. Ein Bild ist emotionaler. Es springt einen schneller an. In einer Welt, wo es so viel aufzunehmen gibt, gibt ein Bild Orientierung. Man weiß sofort, wo man ist, ob bei Lady Gaga oder Donald Trump. Mit einem Bild kann man sehr schnell erfassen, was die Hauptaussage ist.
Welchen Stellenwert hat dann heute noch der Kontext eines Bildes? Brauche ich überhaupt noch Text?
Der Kontext ist nach wie vor sehr wichtig. Zu einem guten Bild gehört immer eine ausführliche Beschreibung, was auf dem Bild läuft, um was es geht, was das Bild wirklich sagt. Schon bei der Produktion muss man sich mit dem Thema beschäftigen. Ein gutes Bild entsteht, wenn man sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzt. Ein Leitsatz von mir ist: Ist das Bild nicht gut genug, hast Du nicht genug gelesen.
Wer spricht auf einem Bild – der Fotograf oder der Inhalt?
Das ist eine Art Symbiose von Motiv und Fotograf. In jedem Bild steckt stark der Fotograf, seine Position und Haltung. Er entscheidet wie er ein Objekt positioniert, entscheidet den Blickwinkel und die Perspektive und betrachtet auf seine Weise die Realität. Hinzu kommt der Betrachter, der mit seiner eigenen Sichtweise das Bild sieht. Am Ende sind Fotograf, Wirklichkeit und Betrachter die Absender.
Fotografie soll Wirklichkeit abbilden. Unser Anspruch daran ist hoch. Warum ist das so?
Das hat zum einen mit der Fotografie als Technik zu tun. Zum anderen ist es historisch gewachsen. Die Leute sind damit groß geworden, dass Fotografie Realität abbildet und keine Fiction ist. Sie haben einen Anspruch darauf, dass es ehrlich ist. Ich muss mich darauf verlassen können, dass ein journalistisches Foto wahr ist. Wenn geschummelt wird, gibt es zu Recht heftige Diskussionen in der Branche.
Das ist in Zeiten, wo jede Falte entfernt und vieles inszeniert wird, schwierig?
Die Entwicklung hat nicht nur gute Wirkung. Es ist aber eine Frage der Information und wie stark man sich mit einem Bild beschäftigt und es hinterfragt. Wenn ich die Inszenierung sehe und verstehe, weiß ich das Bild einzuordnen. Es muss viel dafür getan werden, dass man lernt mit Bildern umzugehen statt sie nur in kleinen Häppchen zu konsumieren. Aufklärung ist wichtig.
Der Fotowettbewerb dreht sich um das Thema Zuhause. Warum lohnt es sich, mit dem Thema künstlerisch auseinanderzusetzen?
Zuhause gehört zu unserer Welt und ist ein wichtiges Thema unserer Wirklichkeit, mit dem man sich sehr intensiv beschäftigen kann. Was bedeutet Zuhause oder was bedeutet auch der Verlust von Zuhause? Da sind wir wieder beim Auftrag: Fotografie ist ein sehr gutes Mittel, sich mit entscheidenden Fragen unserer Wirklichkeit auseinanderzusetzen.
Zuhause ist etwas sehr Persönliches, aber ist es heute auch privat?
Ich habe es bei mir selbst gemerkt. Zuhause ist ein wichtiges Stück meiner Identität, das ich aber auch gerne mit meinen Freunden teile. Deswegen stelle ich relativ oft in den sozialen Medien wie Instagram Dinge ein, die konkret mein Zuhause ausmachen wie zum Beispiel der Blick in den Garten von der Couch.